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1. Spieltag

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Beitrag von Semsemnamm Mi 23 Sep 2020 - 16:01

Darija schrieb:"Der Reichtum des einen ist IMMER die Armut des anderen."

Das ist völlig falsch. Wenn diese Theorie stimmen würde, dann müssten eher mehr als weniger Menschen auf dem Planeten in Armut leben. Tatsächlich waren 1990 44% bzw. knapp 2 Mrd. von Armut bzw. extremer Armut betroffen. 2015 waren es nur noch 14,9% bzw. knapp 700 Mio. Gleichzeitig ist die Bevölkerung von 5,32 Mrd. auf 7,79 Mrd. Menschen angestiegen. Gleichzeitig wurde ein kleiner Teil der Bevölkerung extrem reich.

Für diese Aussage hätte ich gern mal eine Quelle. Denn diese Zahlen scheinen mir - mit Verlaub - extrem geschönt zu sein, um nicht zu sagen, völlig an der Realität vorbeizugehen. Ein Fakt ist, dass die weltweit 42 reichsten Menschen genauso viel besitzen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammengerechnet. Und dafür habe ich eine Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article172684758/Oxfam-42-Milliardaere-besitzen-so-viel-wie-die-halbe-Welt.html

Das passt nicht mit deinen Zahlen zusammen. Das hier auch nicht: https://www.migazin.de/2018/10/18/weltbank-bericht-milliarden-menschen-armutsgrenze/
Demnach sind die 700 Mio. nur die, die unter extremer Armut leiden. Unter der Armutsgrenze leben weltweit 3,4 Mrd. Menschen, also fast die halbe Weltbevölkerung

Auch bei uns haben es Hartz IV Empfänger alles andere als leicht. Aber wenn man mal vergleicht, was die heute haben und was vergleichbare Menschen in den 50ern bei uns hatten, ist das ein himmelweiter Unterschied.

Dafür ist die Zahl der Leute, die davon betroffen sind, drastisch gestiegen. Hartz IV betrifft nicht mehr nur Arbeitslose, sondern auch Leute in Vollbeschäftigung, die so wenig verdienen, dass sie zusätzlich zum Amt rennen müssen.

Die Kluft zwischen den Reichen und den Ärmeren in einer Gesellschaft hat sich stark vergrößert, das stimmt ohne Zweifel. Aber selbst den Ärmern, abgesehen von Obdachlosen, geht es heute deutlich besser.

Das stimmt aber auch nur, wenn man nur die absoluten Zahlen betrachtet und die Inflation außen vor lässt. Welche Kaufkraft hat denn heute ein Euro, und was hat man damals für denselben Betrag bekommen?

@Wisent: Ich habe keine Ahnung, in welchem Zusammenhang das Zitat gefallen ist, ich bin nur drauf angesprungen, weil Darija es erwähnte. Und so dahin gesagt, wirkt das auf mich erstmal wie das übliche Kapitalistengewäsch. Billiger Populismus, fehlt eigentlich nur noch ein Verweis auf den Sozialismus, um es vollständig als Totschlagargument zu entlarven. Wenn ich dem Uli da Unrecht getan habe, mea culpa. Aber der Uli ist für mich ohnehin nicht die Instanz in Sachen "wie verdiene ich sauber mein Geld"...

Was den ollen Bertolt (ohne h) angeht: Natürlich stammt das Zitat aus einer anderen Zeit. Das Grundproblem besteht aber weiterhin, und da geht es gar nicht um Omas Sparstrumpf, den will ihr niemand streitig machen. Aber der größte Teil der Firmenvermögen der ganz Großen - Zuckerberg hast du ja bereits erwähnt, ich nehme noch Bezos, Gates und Pichai (Chef von Google) hinzu - basiert immer auf der Ausbeutung anderer. Das geht auch gar nicht anders.

Warren Buffet hat es selbst gesagt: "There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning."

Eins habe ich festgestellt: Als es noch die DDR gab, musste der Westen zumindest so tun, als gäbe es eine soziale Marktwirtschaft. Seit dem Mauerfall entwickeln wir uns wieder genau zu dem Raubtierkapitalismus zurück, auf den Brechts Zitat zutrifft. Nicht einmal Corona hat diese Entwicklung aufgehalten - selbst in der Krise werden die Reichen reicher.

Semsemnamm

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Beitrag von Wheily Mi 23 Sep 2020 - 18:56

Es ist doch ganz einfach. Wenn alle reich sind ist keiner reich.

Und Geld ist nicht weg, es hat nur jemand anderes 😉

Aja und man muss Geld haben, um Geld zu verdienen.

Die erste Millionist immer die schwerste.

Hab ich etwas vergessen?

Wheily

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Beitrag von Darija Fr 25 Sep 2020 - 8:18

Hab eigentlich keine große Lust, das Thema noch länger zu diskutieren. Daher nur einige Punkte. Der Kapitalismus hat sicher seine Fehler. Aber dieses Wirtschaftsystem hat auch seine Vorteile und das nicht nur für das obere Prozent.

Entwicklung Armut:
https://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/52680/armut

Ja, es gibt einge Menge Menschen in D., die aufstocken müssen. Mir gefällt das auch nicht. Aber was ist denn die Alternative? Die Alternative ist sehr oft nicht, dass die Betriebe einfach höhere Löhne zahlen. Denn die höheren Löhne würden bei vielen Betrieben (bei weitem nicht bei allen) eine Existenzgefährdung darstellen. Sicher wird in diesem Bereich auch Schindluder getrieben und das muss bekämpft werden. Aber grundsätzlich ist es nicht verkehrt, dass Menschen eine Arbeit haben und noch den einen oder anderen Zuschuss bekommen. Die Alternative wäre nämlich, dass die Betriebe ins Ausland gehen oder ihr Geschäft ganz einstellen. Und dann wären die Aufstocker arbeitslos und dann hätten noch weniger.

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Beitrag von Wheily Fr 25 Sep 2020 - 9:57

Solche Diskussionen greifen meist viel zu kurz. Wenn selbst Ökonomen nur Theorien haben, wird man in einem Internetforum wohl kaum die Antwort finden. Weder hier noch woanders. Auch wenn sich alle Internetrambos für Experten halten (nicht hier).

Deswegen meine Platitüdenantwort.

Es gibt nur wenig Sachen die wirklich klar sind:

- Grundsicherung muss zum Leben reichen.
- Wer arbeitet, muss spürbar mehr haben als Grundsicherung
- Spitzenverdiener müssen mit ihren Abgaben die Solidargemeinschaft am Laufen halten.
- Wer in Deutschland arm ist, ist global gesehen reich.
- Soziale Marktwirtschaft ist das beste System, welches bekannt ist.

Es gibt viele Sachen die man kritisieren kann. Zum Beispiel Lobbyismus. Nehmen wir die Autoindustrie, die für ihren Betrug viel zu glimpflich davon gekommen ist. Aber ohne diese Industrie, wäre Deutschland ziemlich am Filter. Was also tun?

Meine Lösung wäre: Relativ moderate Strafen für die Industrie, harte Strafen für handelnde Personen. Erstens strafrechtlich und zweitens durch konsequente Mitarbeiterhaftung, also VW fordert die Strafen von Winterkorn als Schadensersatz. Das würde zu langen Rechtsstreitigkeiten, Imageverlust (noch mehr) und einer enorm schwierigen Beweisführung führen. Wird es dann besser? Keine Ahnung.

Was ich damit sagen will: Einfache Lösungen betrachten selten Wechselwirkungen. Man meckert gerne auf sehr hohem Niveau, denn im großen und ganzen läuft es bei uns sehr gut. Das heißt nicht, dass man keine Fehler benennen darf. Die Privatisierung des sozialen Wohnungsbaus und des Gesundheitssystems halte ich für die größten Fehler der jüngeren Geschichte.

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Beitrag von Wisent Fr 25 Sep 2020 - 12:30

Ich sehe es auch so, die soziale  Marktwirtschaft, die wir haben, ist vielleicht nicht der Weisheit letzte Schluss aber zumindest auf diesem Planeten für mich das beste System - wir haben eine soziale Absicherung, auch für die, deren Lohn nicht zu Leben reicht und die, die nicht arbeiten können oder wollen - das haben in diesem Umfang sehr wenige andere Länder vorzuweisen. Auch Obdachlose bekommen staatliche Unterstützung, sie müssen sie sich aber täglich aktiv beim Sozialamt/Jobcenter holen.

Große Zustimmung Wheily, bis auf das Thema Wohnungsbau und zu weiter oben dem Ausbeutungsargument noch ein plastisches Beispiel:

Ja es gibt Lohngefälle und wie schon in unserer Elterngeneration haben z.B. im Friseur- und Floristikhandwerk und der Gastronomie die Beschäftigten eher niedrigere Einkommen, das u.U. durch Trinkgelder aufgebessert wird. Die Kehrseite der Medaille ist aber das Verbraucherverhalten - wer zahlt denn als Mann mehr als 20 € für nen Haarschnitt, für sein Schnitzel 29 € im normalen Dorf-Restaurant oder für nen einfachen Blumenstrauß mehr als 20 € - meines Wissens niemand, der seine sieben Sinne noch beieinander hat. Und wenn mir jetzt noch jemand mit Ost-West (früher Nord/Südgefälle) kommt: Ja das gibt es und ich weiß von genug Leuten, die aus Berlin oder Brandenburg mindestens einmal monatlich nach Polen fahren: Großeinkauf (primär Lebensmittel, Tabak und Kleidung), Tanken, Friseur, Baumarkt, Essen gehen, das machen die dann nicht nochmal am Wohnort ... - und jetzt erklärt mal dem Friseurmeister in Cottbus, Frankfurt/Oder, Eisenhüttenstadt, Zwickau oder sonst wo grenznah zu unseren östlichen Nachbarn, er soll seinen Leuten 15 € die Stunde zahlen (für ihn mit Lohnnebenkosten dann 18 €) wo er den Haarschnitt nur für 10 € verkauft bekommt, denn in Polen ist er ja noch günstiger... Mein Fazit zur Lohn- und auch Umweltdebatte: Geiz ist eben doch nicht geil.

Zum Wohnungsbau: Mal von den schwarzen Schafen abgesehen, die es unbestritten gibt und deren Handeln sich aber leider oftmals in den gesetzlichen Grenzen bewegt ist mMn die Enteignungsdebatte höchst populistisch und in einer Marktwirtschaft systemfremd. Durch Anpassung der Gesetze und Durchsetzung der gesetzlich vorgesehenen Strafen wäre das Thema schnell erledigt. Das könnte man sowohl gegen das Unternehmen als auch gegen handelnden Personen (Vorstand/Geschäftsführer) machen.

Die Fehler im Wohnungsmarkt haben mMn 3 wesentliche Ursachen:
1. ist es leider ein Systemfehler, weil durch die Zinspolitik zwar der verschuldete Staatshaushalt entlastet wird aber der "Investor" mit dem Sparbuch Geld zur Bank tragen muss, damit sie es nehmen, folglich werden andere wertbeständige Dinge gesucht, dass sind dann Grund & Boden, die (eigengenutzte) Immobilie oder Edelmetalle, was die Kaufpreise in die Höhe treibt und damit indirekt die künftigen Mietpreise.
2. ist das dann vielerorts schlicht Ausdruck des Nachfrageüberhangs, es ist halt leider chic in Berlin, München, Hamburg etc. zu wohnen - genauso wie in Paris, Madrid, London, Manhattan, Tokyo etc. - nur man muss es sich halt leisten können. Das individuelle Recht auf Selbstentfaltung, freie Wohnortwahl etc. beinhaltet nicht die Pflicht des Staates, das zu finanzieren! Und da sich die Städte nicht beliebig ausdehnen können oder in die Höhe wollen, bzw. z.B. in Berlin selbst eine teilweise Randbebauung des ehemaligen Tempelhofer Flugfelds (300 ha groß, also etwa 450 Fußballpätze, fast mitten in der Stadt) politisch nicht durchsetzbar ist oder die Bauämter (politisch gewollt?) nicht mit den Bauanträgen hinterherkommen, wird halt für die bestehend hohe Nachfrage (zunehmend Singlehaushalte) zu wenig gebaut.
Die 3. Ursache ist eher kommunalpolitisch, nämlich die Auflagen an die Wohnungsbauer hinsichtlich energetischer Erfordernisse, zu schaffender Parkplätze/Infrastrukturbauten oder frei zu haltender Grünanlagen anstatt da noch ein Haus hinzustellen etc.. Alles Kostentreiber, die letztlich den Baupreis/qm der tatsächlich gebauten Wohnungen nach oben treiben und damit auch die Mieten. Letztlich kommen die Bürger selbst noch mit ihren Befindlichkeiten dazu, Neubau o.k., aber bitte nicht hier im Kiez und bitte nicht so ein Haus, die künftigen Mieter/Käufer passen hier nicht her...

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Beitrag von Wheily Fr 25 Sep 2020 - 15:32

Du hast teilweise recht, Wisent. Im sozialen Wohnungsbau sehe ich das aber anders.

1. Die Enteignung ist gesetzlich möglich und zum Beispiel beim Straßenbau gängige Praxis. Und da ist das öffentliche Interesse meiner Meinung nach deutlich streitbarer. Von Enteignung kann auch kaum die Rede sein, würde es vergütet und das mit Milliarden über dem damaligen Kaufpreis.

Gerade wegen deinen Ausführungen zu Ursach/Wirkung darf der soziale Wohnungsbau nicht gewinnorientiert sein. Da ist diese Entwicklung nämlich egal. Der Staat profitiert von den Niedrigzinsen und muss kein Geld zur Bank tragen. Und es muss bei allen Nachfrageengpässen gesichert sein, dass Niedriglöhner einigermaßen in der Nähe ihres Arbeitsplatzes wohnen können. In ordentlichen Verhältnissen zu angemessenen Preisen.

Wheily

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